Am 24.4.2013 stürzte in Sabhar, Bangladesh, die Textilfabrik 'Rana Plaza' ein. Dabei wurden 1135 Menschen getötet und 2438 verletzt. Es ist das bisher größte Fabrikunglück in der Geschichte des Landes.
Die Arbeiter*innen wurden zur Arbeit in der Fabrik gezwungen, obwohl die Polizei den Aufenthalt im Gebäude zuvor aufgrund von Sicherheitsmängeln untersagt hatte.
Das Unglück ist nun ziemlich genau 10 Jahre her und sorgte für einen großen Aufschrei sowie die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen in der Textilbranche weltweit.
Wir haben uns gefragt: was hat sich seitdem wirklich getan?
Gibt es allgemeine Richtlinien für bessere und sichere Arbeitsbedingungen?
Das Unglück und die Jahre danach
Unmittelbar nach dem Unglück im April 2013 kam es bereits zu teils gewalttätigen Protesten durch Angehörige toter und verletzter Arbeiter*innen gegen die Polizei. Freiwillige Rettungskräfte arbeiteten rund um die Uhr daran, Überlebende zu retten und Tote zu bergen. Die letzte überlebende Textilarbeiterin wurde erst 16 Tage nach der Katastrophe befreit.
Der Besitzer des Gebäudes Sohel Rana, ein bangladeshischer Politiker, sowie leitende Mitarbeiter der darin produzierenden Textilfirmen wurden festgenommen.
Der Bericht einer Untersuchungskommission kam Ende Mai 2013 zu dem Schluss, dass die Hauptursache für die Katastrophe grobe Fahrlässigkeit war. Unter anderem seien für den Bau des Hauses minderwertige Baumaterialien verwendet worden, das Bauland habe sich für ein mehrgeschossiges Gebäude nicht geeignet. Der Bericht empfahl lebenslange Haftstrafen für den Besitzer des Hauses und für die Besitzer der Textilfabriken, die im Rana Plaza untergebracht waren.
Weiterhin wurden 2013 staatliche Überprüfungen der Sicherheit bangladeshischer Textilfabriken beschlossen, woraufhin mehrere Fabriken ihren Betrieb einstellten. Wie viele genau lässt sich leider kaum herausfinden, da parallel auch neue Fabriken in Betrieb genommen wurden.
Das Rana Plaza Gebäude war jedoch "nur" das größte von weiteren Textilfabriken, in denen sich zu dieser Zeit ähnliche Katastrophen und Unfälle ereigneten.
Dadurch gerieten weltweit Modeketten unter Druck, sich zu ihren Produktionsbedingungen zu äußern sowie Maßnahmen zu ergreifen, die Situation zu verbessern. Daraus entstanden freiwillige Selbstverpflichtungen sowie verschiedene Textilsiegel wie etwa die Fairwear Foundation oder der Grüne Knopf. Während einige dieser Bemühungen durchaus respektable Ergebnisse bringen, sind viele andere leider nach wie vor eher unter dem Begriff "Greenwashing" zu verorten.
Mitte Mai 2013 unterzeichneten große europäische und US-amerikanische Abnehmerfirmen außerdem das mit den internationalen Gewerkschaftsdachverbänden UNI und IndustriALL sowie verschiedenen Nichtregierungsorganisationen (u. a. die Kampagne für Saubere Kleidung) ausgehandelte einklagbare Abkommen zum Brand- und Gebäudeschutz in Bangladesh. Dieses schreibt einen besseren Arbeitsschutz (mit den Schwerpunkten Gesundheitsschutz, Gebäudeschutz und Brandschutz, einschließlich systematischer Mitarbeiterschulungen) mit regelmäßigen unabhängigen Kontrollen vor. Die Kontrollen werden von allen Unterzeichner-Unternehmen über einen Lenkungsausschuss finanziert, an dem sie sich entsprechend der Produktionsmengen beteiligen. Das Abkommen beinhaltet auch das explizite Recht für Arbeiter, die Arbeit bei gravierenden Sicherheitsmängeln niederzulegen, ohne dafür sanktioniert zu werden.
Im Oktober 2014 wird außerdem durch rund 30 Unternehmen und Organisationen das "Bündnis für nachhaltige Textilien" gegründet. Es soll für mehr Transparenz in den Lieferketten sorgen. Mitglieder sind unter anderem große Modemarken, sowohl Fair Fashion als auch konventionell, aber auch die deutsche Bundesregierung und Organisationen und Siegel, wie beispielsweise GOTS (Global Organic Textile Standard).
Die Fashion Revolution Week wurde als Gedenk- und Aktivismusaktion ins Leben gerufen und die zugehörige Organisation leistet seitdem wichtige Aufklärungsarbeit und stellt Ressourcen zum selbst aktiv Werden zur Verfügung.
Infolge anhaltender, auch gewalttätiger Straßenproteste der Arbeiter*innen wurde der Mindestlohn in der Bekleidungsindustrie in Bangladesh 2013 von 3000 Thaka pro Monat (knapp 30 Euro) auf 8000 Thaka, also ca. 69 Euro erhöht. Eine weitere Erhöhung auf 24.000 Thaka (207 Euro) wurde 2022 aufgrund der sprunghaften Erhöhung der Lebenshaltungskosten gefordert.
Aufgrund der immer noch chronisch zu niedrigen Löhne kommt es zu zahllosen Überstunden, zu denen sich immer mehr Arbeiter*innen in den Bekleidungsbetrieben Bangladeshs genötigt sehen.
Wie die Initiative „Garment Workers Diaries“ in einer regelmäßigen Befragung von 1.300 Arbeiter*innen, davon 75 % Frauen, aus der Bekleidungsindustrie Bangladeschs feststellte, lagen die monatlichen Arbeitsstunden von Näherinnen im Zeitraum Dez. 2021 – Dez. 2022 im Mittelwert bei 248 Stunden (Männer: 254 Stunden).
Das entspricht ca. 57-62 Arbeitsstunden pro Woche und liegt über dem im Arbeitsgesetz von 2006 festgelegten gesetzlichen Maximum, das die wöchentliche Arbeitszeit auf maximal 56 Stunden im Jahresdurchschnitt begrenzt.
Im Februar und März 2022 leisteten mehr als die Hälfte der Näherinnen exzessive Überstunden. Mehr als zwei Drittel sagten zudem, sie hätten keine Wahl, ob sie Überstunden leisten oder nicht; die Hälfte erhielt sogar Strafen, wenn sie anberaumte Überstunden nicht leisten wollten.
In Artikel 1 des Übereinkommens Nr. 29 zu Zwangsarbeit definiert die ILO (die Internationale Arbeitsorganisation) Zwangsarbeit als „jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung von Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat“.
Unter diesem Gesichtspunkt ist zu diskutieren, ob die exzessiven Überstunden und der einhergehende Zwang in Bangladesh belegen, dass es sich um Zwangsarbeit handelt.
Da dies nicht immer offensichtlich ist, hat die ILO ein Set von insgesamt elf Indikatoren entwickelt.
Wird einer oder mehrere der Indikatoren in einem Betrieb festgestellt, müssen genauere Untersuchungen angestellt werden. Sollte sich der Verdacht erhärten, sind sofort Maßnahmen zur Abschaffung nötig. Diese sind zum einen durch die Betriebe, zum anderen aber auch durch deren Auftraggeber*innen, also etwa Textilunternehmen bei uns im globalen Norden, zu gewährleisten.
Blickt man vor diesem Hintergrund auf die Arbeitsbedingungen in Bangladesch, so kann man nicht nur exzessive Überstunden feststellen, sondern auch, dass ein großer Teil der Beschäftigten die angeordneten Überstunden unfreiwillig / unter Zwang leistet. Außerdem berichtete die Hälfte der Näherinnen (41 % der Näher) über verbale Einschüchterung und Drohungen, 3 % (2 %) über physische Gewalt und 1 % (0 %) über sexuelle Gewalt.
Da es zusätzlich immer wieder Berichte über nicht-gezahlte Löhne gibt, ergibt bereits eine kurze Sichtung der Quellen schon vier Indikatoren aus dem ILO-Indikatoren-Set, die auf Zwangsarbeit oder zwangsarbeitsähnliche Verhältnisse in der Bekleidungsindustrie Bangladeshs hindeuten.
Auch wenn seit dem Unglück vor 10 Jahren das allgemeine Bewusstsein für die Problematik von Fast Fashion und deren Folgen stark gestiegen ist und es einiges Bestreben zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen gibt: wir stellen fest, dass immer noch viel im Argen liegt und wir noch lange nicht von fairen Bedingungen oder Gerechtigkeit sprechen können. Dabei ist auch wichtig zu betonen, dass wir uns in diesem Artikel auf Bangladesh fokussiert haben, das aber bei weitem nicht das einzige Land mit diesen und ähnlichen Problemen bleibt – im Gegenteil, denn schlechte Presse über einen Produktionsort sorgt dafür, dass am nächsten Ort neue Produktionsstätten mit potentiell ähnlichen Bedingungen auftauchen.
So lange wir also weiter den Anspruch haben, für unangemessen wenig Geld viel neue Kleidung zu bekommen, wird sich am großen Ganzen nichts ändern. Es gibt jedoch mittlerweile so viele Ansatzpunkte, sich zu engagieren – sei es im Großen durch Aktivismus, politisches Engagement und Bildung, wie auch im Kleinen. Jeden Tag können wir in unserem Alltag Entscheidungen treffen für die Welt, in der wir leben möchten. Für eine Welt ohne Ausbeutung, Gewalt und Ungerechtigkeit. Jeder unserer Kassenzettel ist ein Stimmzettel. Jedes Mal, wenn wir unsere Kleidung reparieren (lassen) ist das Wertschätzung und Ressourcenerhalt. Jedes Kleidungsstück, das wir mit Bedacht auswählen, Second Hand oder fair produziert, ist ein Zeichen gegen die Ausbeutung. Wenn ihr selbst noch mehr tun möchtet, wendet euch gerne im Laden an uns, oder meldet euch bei der Kampagne für saubere Kleidung. In zahlreichen Regionalgruppen werden tolle Projekte realisiert. Unter Fashion Revolution findet ihr viele weitere Ideen und Infos zum Thema, Downloads, Druckvorlagen für Plakate oder Shirts und vieles mehr. Unter good clothes fair pay könnt ihr eure Stimme für eine existenzsichernde Bezahlung in der Textilindustrie laut werden lassen.
#jointhefashionrevolution – es gibt jede Menge zu tun!
Alles Liebe
Lisa
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